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Die scharfe Schere
Ludwig Bechstein
In einem kleinen Städtchen war einmal ein frommes Schneiderlein, das wartete gar
fleißig seiner Arbeit und rührte sich vom Morgen bis zum Abend mit Nähnadel und
Fingerhut, Schere und Bügeleisen, brachte es aber gar nicht weit damit und kam
zu nichts Rechtem. Alles was man von seinem Glücke sagen konnte, war: dass
sotanes Schneiderlein sich leidlich und ehrlich durchflicke. Die Familie, aus
Frau und mehreren Kindern bestehend, welche erhalten sein wollte, schwere Zeit
und durch sie manche Sorge erpressten dem Schneiderlein manchen Seufzer.
Hätte es gerne etwas besser gehabt, wusste aber nicht, wie dies anfangen; hätte
gerne noch mehr gearbeitet, konnte aber doch nicht mehr tun, als zu tun ihm
aufgetragen wurde, und konnte keine Kundschaft herbeizaubern, so sehr er dies
auch manchesmal wünschte.
Aber die Zeit wurde immer schlechter, und es gedieh dahin, dass das arme
Schneiderlein keinen einzigen Gesellen mehr halten konnte, und als sein letzter
Lehrling losgesprochen war und das Ränzel geschnürt hatte und in die Fremde
gewandert war, so meldete sich kein anderer Knabe zum Lehrling, denn die Leute
sagten dem Schneiderlein nach, es sei weiter nichts als ein Flickschneider,
welches Wort nicht viel mehr sagen will als ein Lump.
Da klopfte eines Tages schon gegen die Abenddämmerung endlich einmal wieder ein
Schneidergesell an, grüßte das Handwerk und bat um Arbeit. Dem klagte das arme
Meisterlein gleich seine Not und sprach, es wollte ihm von Herzen gerne Arbeit
geben, so es deren nur hätte. Der Schneidergeselle aber antwortete, der Meister
solle ihn nur annehmen; wo er arbeite, da sei das Glück, da gebe es genug
zu schaffen.
"Nun wohl! Wir wollen es auf acht Tage probieren", sagte der Schneider, der
leicht Hoffnung schöpfte, und wäre es auch nur ein Fingerhut voll gewesen.
Einiges fand sich noch zu flicken vor, und am andern Morgen begann die Arbeit;
Meister und Geselle saßen einander gegenüber, und dem ersten stand die Nadel
still, als er sah, wie flink und fertig der neue Geselle nähte. Dessen Nadel
flog nur so, man sah kaum die arbeitende Hand.
Nun betrachtete sich der Meister seinen neuen Gesellen auch weiter und
verwunderte sich über dessen Gestalt. Derselbe war schier so dünn wie ein
Zwirnsfaden; das nichts weniger als wohlbeleibte Schneiderlein war gegen jenen,
was ein starker Stamm ist gegen eine dünne Gerte; das Gesicht des Gesellen war
dem Meister nicht angenehm; es ähnelte jenes Physiognomie aufs Haar der eines
Ziegenbockes, und nebenbei hing der Geselle an alles, was er sprach, ein
seltsames kicherndes Gelächter, das akkurat wie Meckern klang.
Kaum hatte die Arbeit begonnen, als es an die Türe klopfte und ein fremder Herr
eintrat, welcher ein neues Gewand bestellte und das Geld für das Tuch gleich auf
den Arbeitstisch legte. Zitternd vor Freude hüpfte das Schneiderlein um den
Fremden herum und nahm das Maß. Ach, es hatte so lange nicht das wonnige Gefühl
einer Schneiderseele empfunden, ein Maß zu einem nagelneuen Gewande zu nehmen.
Der Fremde empfahl Eile und ging, und die Frau Meisterin sollte geschwind in den
Tuchladen gehen, das Tuch zu holen, konnte sich nicht schnell genug anziehen.
"Sieht der Meister, dass ich recht hatte?" fragte der Geselle. "Mit mir kommt
das Glück ins Haus, mähähähä!"
"Freut mich, freut mich sehr!" antwortete schmunzelnd das Schneiderlein.
"Zehn Taler hat der Herr zu Tuch da gelassen?" fragte der Geselle weiter. "Da
schickt man achte in den Tuchladen, und zweie behält man – mähähähä!"
"Gott soll mich behüten und bewahren!" rief erschrocken das Schneiderlein.
"Nein, das wäre eine Sünde, das wäre unrechtes Gut, das bringt kein Gedeihen!"
"Lasse mich der Meister aus mit – und Sünde – solche Worte kenn ich nicht –
mähähähä!" erwiderte mit einem ungemein spöttischen Gesichte der Geselle,
immerfort fleißig arbeitend. "Man riecht dem Meister recht das kleine Stadtnest
an, darin wir sitzen – da sollte einmal der Meister in einer großen Stadt leben
und ein Kunde so dumm sein wie der unsrige, das Geld zum Tuche voraus zu
bezahlen! Dort müsste man von zehn Talern gleich fünfe behalten, weil so
gar viele andere Kunden das Tuch, das die Schneider zum Gewande tun, nie und
niemals bezahlen, und Auslagen nebst Macherlohn zum – zum Teufel sind –
mähähähä!"
Das fromme Schneiderlein fädelte einen neuen Faden in seine Nadel, zog diesen
recht lang aus, hielt ihn dem Gesellen unter die Nase und sagte: "Sieht Er,
Mosjö! Ehrlich währet am längsten!"
"Eine gute Zehrung, mit der man weit kommt!" spottete der Geselle mit seinem
steten unausstehlichen Meckerlachen.
Das Tuch wurde gebracht, es war fein und gut; der Schneider spitzte die Kreide
und schickte sich zum Zuschneiden an. Der Geselle blickte in die Camera obscura,
die sich an den Arbeitstischen der Schneider befindet, um Abfälle von Tuch,
Futter und dergleichen aufzunehmen, und scharrte mit dem Fuße darinnen umher, es
lag aber gar nichts darin als einige Fasern von der letzten Flickarbeit – dann
folgte des Gesellen lauernder Blick jeder Handbewegung des Meisters – dann sagte
er: "Nun Meister! Euer Ältester braucht notwendig ein Röcklein, oder die Frau
Meisterin könnte eine Sonntagsjacke wohl brauchen. Schneidet hübsch mit Verstand
zu – werft die Lappen her
– in die Hölle – mähähähä!"
"Beim Teufel ist die Hölle – nicht bei mir! Nicht ein Flecklein zu einem
Haubenläppchen für meine Frau behalte ich!" versetzte der ehrliche Schneider.
"Pah!" rief der Geselle und zog sein Bockgesicht zu einer gräulich fletschenden
Grimasse. "Wozu ist denn die Hölle da? Wozu hat sie ein Loch – mähähähä?"
"Es heißt eigentlich gar nicht Hölle, es heißt Höhle, weil es ein
dunkler hohler Raum ist – mit der Hölle hat kein ehrlicher Schneider was zu
schaffen", versetzte der das Tuch mit größter Gewissenhaftigkeit zuschneidende
Kleiderkünstler.
"Schulmeister! Oh! Deutscher Sprachmeister!" spottete der Geselle und warf einen
Blick voll des grimmigsten Hohnes auf den redlichen Mann. Dieser aber ließ sich
nicht irren, und die neue Arbeit wurde begonnen. Im Laufe desselben Tages gingen
noch andere Bestellungen ein – eine nach der andern; bereits war Arbeit auf eine
ganze Woche vorhanden.
Dem Schneidermeister gefiel sein neuer Geselle gar nicht; er hätte ihm gern am
Morgen des ersten Arbeitstages schon wieder Feierabend gegeben, aber er hatte
ihn nun einmal auf eine Woche lang angenommen; der Geselle schien in der Tat das
Glück mitgebracht zu haben, und schickte er ihn aus der Arbeit, so konnte er
allein nicht in zwei Wochen alles fertigen, was bestellt war. Und einen zweiten
Arbeiter, wie dieser Geselle war, gab es gar nicht.
Am folgenden Tage setzte sich die Arbeit rührig fort, unter manchem
Zwiegespräch, unter mancher Spötterei und manchem den Meister verhöhnenden
Bockgelächter, daran sich dieser jedoch wenig kehrte. Er dachte: Spotte, höhne
du nur immerzu, stichle, so viel du willst, arbeite nur so fort; dein Spott
beißt mich nicht, dein Hohn sticht mich nicht – der heiße Bögelstahl deiner
Zunge brennt mich nicht.
So kam der Schneider mit Geduld und gutem Gewissen viel weiter, als wenn er fort
und fort mit dem Gesellen gezankt und gehadert hätte.
Zwischen die Arbeittage fiel jetzt ein Sonntag. Meister und Meisterin schliefen
eine Stunde länger, es war ja Ruhetag. Am Abende vorher hatte die Meisterin die
Werkstätte recht schön ausgekehrt und aufgewaschen, war aber nicht wenig
erstaunt, als sie am Sonntagmorgen hineinschaute, den Boden rings umher wieder
voll Tuchschnitzel, Zwirnstücke und Futterfetzen liegen zu sehen und auf seinem
Platze den Gesellen in voller Arbeit; er hatte ein reines Hemde an, welches vorn
aufstand, und mit Entsetzen gewahrte die Meisterin, dass des Gesellen Brust über
und über voll schwarzer Haare war.
Sie zog sich zurück und drückte ihrem Manne ihre Verwunderung aus, dass er den
Gesellen am lieben Sonntage arbeiten lasse, was doch eine Sünde sei – und sie
habe doch erst abends zuvor die Werkstatt so schön gefegt.
"Wie? Er arbeitet?" fragte ganz verwundert der Meister.
"Mir ist nicht eingefallen, ihn das zu heißen. Das soll er gleich bleiben
lassen!"
Rasch trat der Meister in die Werkstatt: "Schönen guten Morgen auch! Aber was
soll das heißen? Weiß Er nicht, dass heute Sonntag ist?"
"Großen Dank, Meister! Nä, mähähähä!"
"Hör Er! Lasse Er Sein dummes Lachen! Ich verbitt es mir!" sagte der Meister und
warf sich in die Brust. "Heute ist Sonntag, heute wird ein für allemal nicht
schneideriert. Sonntag ist Ruhetag!"
"Halte mir doch der Meister meine Arbeiten nicht für ungut!" verteidigte sich
der Geselle mit scheinbarer Demut. "Für wen arbeite ich denn? Für Ihn
oder für mich? Doch ohne Zweifel für Ihn. Ich bin nun einmal an stete
Tätigkeit gewöhnt, ich muss mir stets was zu tun machen – ich kenne keine Ruhe
und keinen Müßiggang. Kennt Ihr nicht das schöne Sprüchlein: Müßiggang ist des
Teufels Ruhebank und aller Laster Anfang? Mähä –"
"Mag sein", antwortete der Meister, einigermaßen verwirrt. "Jetzt höre Er auf zu
arbeiten. Frühstücke Er und ziehe Er sich an. Er täte auch wohl, sich zu
rasieren; schau Er einmal in den Spiegel – Er hat ja einen Bart justement wie
ein Ziegenbock."
"Mähähähä!" lachte der Geselle überlaut. "Verzeih mir's der Meister – ich muss
lachen – mähähähä! dass Ihr einen solchen Vergleich braucht. Nun Euer
Wille soll geschehen."
Der Geselle ging in seine Kammer, rasierte sich und zog sich an und sah mit dem
Barte, den er sich hatte stehen lassen, wie eine lebendige Satire auf die ganze
löbliche Schneiderzunft aus.
Er hatte einen kohlschwarzen Frack von glänzendem Sommerzeug an, dessen Schöße
bis auf die Erde hingen, und in der Tasche des einen bauschte etwas, als wenn
eine lange Schlangengurke drinnen stäke, vermutlich eine Tabakspfeife, denn es
hing eine Art schwarzer Quaste heraus. Unter dem Frack trug der Schneidergeselle
eine Weste von feuerfarbigem Berkal, und seine Sommermodesten waren von echtem
Nankin. Einen Hut besaß der Geselle nicht, sondern bloß ein flottes
barettähnliches Käpplein von schwarzem Sammet, mit rotem Rande und mit
Goldschnur baspoliert. In der Hand trug er einen wunderlich knorrigen Stock von
Wacholderholz, dessen Griff eine Art Drachenkopf bildete, welcher als ein Spiel
der Natur so gewachsen war.
"Ei – Er hat sich ja recht stattlich herausgeputzt, Schwarzburger!" rief der
Meister den Gesellen an, der, wie das Wanderbuch auswies, aus dem
Schwarzburgischen stammte. "Nur Sein Bart gefällt mir nicht und Sein Käpplein
auch nicht, es hat vorn so seltsame Ecken, just als ob ein paar Bockshörnlein
darunter steckten!"
"Ei, dass Euch der Bock stieße, Meister!" rief der Geselle.
"Erst soll ich armer Schwartenhans einen Bocksbart, dann gar Bockshörnlein
haben! Wisset, wenn Ihr so seid, so kann ich auch bocken, kann auch Feierabend
machen."
"Friede am lieben Sonn- und Feiertage!" gebot der Meister. "Wir wollen einander
nicht gegenseitig ins Bockshorn jagen. Hier Geselle, hat Er ein Gesangbuch – wir
gehen in die Kirche."
Vergebens hielt der Meister dem Gesellen das Buch hin – jener berührte es nicht
– und lachte verlegen:
"Mähähähä, Meister! Legt's hin – legt's hin – ich muss – ja, zu meiner Schande
muss ich's Euch gestehen – ich kann nicht – ich kann nicht lesen."
"Hm! Hm!" brummte das Schneiderlein verwundert und sprach: "Das nimmt mich
wunder, dass bei den zahllosen trefflichen Schulanstalten, deren Deutschland
sich zu erfreuen hat, und bei der Überzahl von Lehrern, welche rings die wahre
Bildung und Aufklärung verbreiten, irgendwo der Unterricht noch so mangelhaft
beschaffen sein sollte, dass ein deutscher Schneider nicht lesen könnte –
indessen nehme Er nur das Buch, lege Er es in der Kirche vor sich hin und tue
Er, als sähe Er hinein – das machen viele Tausende so, die recht gut lesen
können. Es sieht doch aus wie Andacht."
"Ich kann wahrhaftig nicht, verschone mich der Meister damit!" lehnte der
Geselle beharrlich ab. "Ich kann nicht in die Kirche gehen – die kühle
Luft beklemmt mir meine schwache Brust – ich will ein wenig Spazierengehen, die
Natur ist mein Tempel – und hier ist eine schöne Gegend, nicht wahr,
Meister?"
"O ja", mischte sich die Meisterin in das Gespräch. "Wenn er zum untern Tore
hinaus ist, führt gleich links der Weg in ein Felsental; man heißt diesen Weg
nur den Drachengraben, und weiter hinten steht ein schöner Steinfels, den heißt
man die Teufelskanzel."
"Ah! Das ist schön! Da will ich hingehen! Küsse die Hand, Frau Meisterin!
Wünsche allerseits gute Andacht! Mähähähä!"
Am Sonntage nach der Nachmittagskirche ging das ehrsame Schneiderlein mit seiner
Familie auch spazieren; das Wetter war sehr einladend, und an einem nahen
Vergnügungsorte, allwo es gutes Bier gab, wurde es sehr voll. Die Kinder fanden
Spielgenossen, die Frau Meisterin fand Freundinnen und Gevatterinnen, und der
Meister fand einen ihm wohlwollenden geistlichen Herrn, mit dem er sich noch ein
wenig in der Nähe des Lustgartens in guten Gesprächen erging. Da begegnete ihnen
der Geselle.
"Mein, was ist das für eine Figur? Die hab ich doch hier noch nicht gesehen!"
fragte der geistliche Herr. "Schaut, Meister, diese verzwickte Gestalt, diese
miserable Physiognomie, und wie der Kerl hinkt!"
"Wahrhaftig, er hinkt, das habe ich noch gar nicht wahrgenommen!" erwiderte der
Schneider.
"Wie? Ihr kennt ihn, Meister?"
"Es ist mein neuer Geselle", antwortete mit einer gewissen Wichtigkeit und
Betonung das Schneiderlein; denn es schmeichelte ihm doch, der Mann zu sein,
welcher einen Gesellen hielt. Dieser Geselle aber schlug einen Nebenweg ein und
bog links ab, um den beiden, die von ihm sprachen, nicht zu begegnen.
Der geistliche Herr schien ebenso neugierig als argwöhnisch, er richtete Frage
auf Frage an den Meister und machte dem guten Manne, der so ehrlich war, keine
Hölle haben zu wollen, dennoch die Hölle heiß.
"Was sagt Ihr mir da alles, Meister?" rief der geistliche Herr. "Wie ein Bock
sieht er aus – meckert wie ein Bock – scheint Hörnlein unter der Kappe zu haben
– hinkt – fasste das Gesangbuch nicht an – kann die Kirchenluft nicht vertragen?
O du Erzbock, du Sündenbock! Du Bock aller Böcke! Meister, um des Himmels
willen, welch einen Bock habt Ihr geschossen, diesen Bock in Euer
christliches Haus aufzunehmen! Dankt dem Himmel, dass Euch heute mich hier
finden ließe. Euer Geselle – das ist der helle Teufel!"
Das Schneiderlein stieß einen Schrei aus und war nahe daran, in Ohnmacht zu
fallen – ja – ja – alles wurde ihm klar – die plötzlich sich häufende Arbeit,
der schlimme verführerische Rat, vom Tuchgelde zu behalten, Tuch zu ganzen
Jacken in die Hölle zu werfen – des Gesellen Hohn, den er stets gegen alles
aussprach, was hehr und heilig war, jetzt stand alles im fürchterlichen
Zusammenhange da. Wenn das Tischgebet gesprochen wurde, hatte der Geselle sich
Salz genommen, das Ding in seiner langen Rocktasche hatte sich bisweilen
wunderlich bewegt, als zapple ein Aal darin, und die Quaste, die manchmal
herausbaumelte, war nicht von schwarzem Kamelgarn, sondern es waren Haare.
"Meister!" begann aufs neue sehr ernst der geistlich Herr: "Ihr seid ausersehen
zu einer großen Tat, wie noch nie ein Schneider eine verrichtete – vollbringt
Ihr sie, so tragt Ihr ewigen Ruhm davon; unterlasst Ihr sie zu vollbringen, so
seid Ihr mit Leib und Seele, mit Frau und Kindern verloren zeitlich und
ewiglich. Ihr habt jetzt den Schwarzen im Hause, Euch dient er, auf
Spekulation, Eure Seele zu verderben, der Seelenfänger. Habet Acht, wie wir ihn
bannen und ihm das Wiederkommen verleiden, denn das wisst Ihr doch, dass eine
Katze nicht wieder das Haus besucht, darin man ihr den Schwanz abhackte oder die
Ohren abschnitt. Lasst vom Schleifer Eure Schere schärfen und habt sie zur Hand
– das Weitere will ich Euch dann schon noch sagen."
An diesem Abende gab es an dem Vergnügungsorte nächst dem Städtchen, wo das
Schneiderlein sesshaft war, zwischen Schneidergesellen und Schuhmachergesellen
fürchterliche Prügel. Ein Schuhmachergeselle hatte über die unförmigen Stiefel
gespottet, welche der fremde Schneidergeselle trug, es waren erst witzige, dann
grobe Worte gefallen, dann die Schläge hageldicht, erst mit Stöcken, dann mit
Stuhlbeinen, und noch nie hatte es so viele zerschlagene Nasenbeine, Beulen,
Löcher in den Köpfen und dergleichen gegeben. Alle Leute kamen in dem Urteil
überein, der Teufel sei völlig losgewesen.
Am andern Tage ging kein Geselle an die Arbeit. Die ganze Gesellenschaft war
aufgeregt, keiner mochte arbeiten, man feierte blauen Montag, zog rauchend und
singend, sich Arm in Arm führend, gassenbreit durch das Städtchen, zu den
Schneidern gesellten sich Barbier-, Drechsler-, Glaser-, Tuchmacher- und
Färber-Gesellen, zu den Schustern aber Gerber-, Tischler-, Schmiede-, Maurer-
und Zimmergesellen. Der Schwarzburger war der Führer der erstgenannten Partei –
er hatte eine rote Hahnenfeder auf sein Barettlein gesteckt, und als abends die
Gesellenschlacht entbrannte, zu der man sich den ganzen Tag über durch manches
Glas Branntwein gehörig vorbereitet hatte, floss vieles Blut, und – was noch nie
dagewesen war, die Schneiderpartei behauptete siegreich den Kampfplatz, indes
kam am Abende dieses blauen Montags kaum einer ohne blaue Flecken oder
Blutergüsse heim. Nur der Schwarzburger zeigte keine Spur einer Verwundung, auch
keine Ermüdung, sondern arbeitete am Dienstag früh wieder flott und rüstig, zog
aber ein sehr schiefes Gesicht, als jener geistliche Herr in die Werkstätte
trat, und rückte unruhig hin und her. Der Meister empfing denselben mit vieler
Reverenz, zeigte hinter dem Rücken des Gesellen auf die frisch geschliffene
scharfe Schere, und der geistliche Herr begann allerlei Fragen an den Gesellen
zu richten, so zum Beispiel: "Wie ist dein Taufname?" Da stank es schon in der
Fechtschule. "Ich bin nicht getauft", antwortete der Geselle.
"So bist du vielleicht ein Jude?" fragte der geistliche Herr.
"Ich bin kein Jude."
"Oder ein Türke? Oder ein Heide?" ging das Fragen fort.
Der Geselle tat, als höre er nicht wohl, und antwortete: "Ja, ich bin ein
Schneider. Mähähähä!"
"Der Teufel bist du, unsauberer Geist!" donnerte der geistliche Herr. "Exorciso
te, creatura daemonica!"
Da begann der Teufel zu zittern und bekam den Krampf in seine dürren Waden, und
der Schneider hatte sich mittlerweile unter den Sitz des Teufels gebückt und die
rechte Stelle ersehen und schnitt jetzt mit einem kühnen Griffe dem Teufel rupps
und kahl den bisher so sorglich verwahrten Schwanz ab. Der Teufel tat ein
Höllengebrüll und fuhr auf und davon und kam niemals wieder. Den Schwanz ließ er
fallen, und der geistliche Herr hob denselben auf, um ihn zu anderen
Seltenheiten der Natur und Kunst zu legen, die man in der Reliquienkammer
aufbewahrte.
Das Schneiderlein aber wurde gefeiert als ein Held, bekam vielen Zuschlag und
hatte später zwölf Gesellen und sechs Lehrburschen sitzen. Litt aber nicht, dass
einer gute und große Lappen in die Hölle warf. Die scharfe Schere wurde zu
keiner andern Arbeit mehr verwendet, sie blieb ein Angedenken und Kleinod in der
Familie, und als der Schneider im Rufe eines frommen Christen verstorben war,
meißelte man das treue Abbild derselben in den Grabstein und mauerte diesen an
die Außenwand der Kirche, just da, wo innen die Reliquienkammer sich befand.
Seitdem geht nun der Teufel ohne Schwanz umher, und der große Dienst, den der
Schneider der Welt durch seinen kecken Schnitt zu leisten vermeinte, bleibt noch
sehr in Frage gestellt; denn als der Teufel seinen Schwanz noch hatte, den er
allerdings gern auf alles legte, konnte man ihm besser aus dem Wege gehen als
jetzt, wo er ohne Schwanz umherstolziert; seit er so gestutzt und stattlich
erscheint, kam der Name Stutzer auf für Leute, die geschniegelt, gebügelt
und gestriegelt sich sehen lassen, sich in die Brust werfen, hochnäsig und
hochmütig, und dabei doch nichts als arme oder dumme Teufel sind.
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